top of page
  • Daniela

feminismus à la carte?


Frauenstreik 2019. Diese ältere Dame, die sich ganz unaufgeregt am Zürcher Limmatquai vor einen Laden gestellt hat und den Tausenden von violett gekleideten, ausgelassenen Frauen zuschaute, hat mich beeindruckt. So einfach ihre Message, und so aussagekräftig!

Ich hatte viele Diskussionen in den letzten Wochen und es werden wohl noch einige folgen. Vor dem 14. Juni war ich immer wieder enttäuscht vom mangelnden Engagement von Kolleginnen aus dem Sozialen Bereich. Manchmal habe ich mich auch geärgert. Zum Beispiel darüber, dass in Ausbildungsstätten der Sozialen Arbeit das Dritte Mandat als Teil der Profession "gepredigt" wird, jedoch, wenn es darum geht, sich für etwas einzusetzen - eben das Dritte Mandat mit Leben zu füllen - phlegmatische Unbeweglichkeit an den Tag gelegt wird. Oder, dass so wenige gemeinsame Diskussionen über verschiedene Funktionsbereiche hinweg zu Fragen und Herausforderungen des Frauenstreiks stattgefunden haben. Der grosse Aufmarsch am 14. Juni und die tolle Stimmung haben mich dann versöhnlicher gestimmt. Es war absolute Spitze zu sehen, wie viele Frauen sich zu gemeinsamen Aktionen und zu grossen Demonstrationsumzügen zusammengefunden haben. Wieviel Kreativität und Engagement freigesetzt wurde. Es war schön, einzutauchen, gefühlte Ewigkeiten nicht mehr getroffene Frauen wieder zu sehen, aktiv zu sein.

Und trotzdem: Wenn unser Chef uns erlaubt, in der Freizeit zu streiken, wenn Coop, die Kioskgruppe Valora und das Verlagshaus Ringier wie viele andere Betriebe auch, ihren weiblichen Angestellten gnädigst erlauben, als Privatperson und in der Freizeit zu streiken, dann frage ich mich, was das mit Streiken zu tun hat. Dieses "Verständnis" scheint wohl eher Augenwischerei zu sein. Auch wenn dieser Streik für viele Berufszweige im rechtlichen Graubereich liegt, so bedeutet streiken halt doch immer noch, sich in Strukturen quer zu stellen, unbequem zu sein, Konflikte aufzuzeigen, Signale zu geben, geordnete Abläufe zu stören, sichtbar und fühlbar zu machen für das was (nicht) geschieht, wenn Frau streikt. Das kann heissen, sich zu exponieren. Das ist nicht bequem. Und, ja, das kann Folgen haben.

Sich für Frauenrechte, für Gleichstellung einzusetzen, scheint mir in manchen sozialen Ecken Mainstream geworden zu sein. Frau nimmt sich eine Prise Wohlfühlfeminismus, im Sinne von "ich kann die Kleider tragen, die ich will, Achselhaare und Dehnungsstreifen spielen keine Rolle" usw., diskutiert um Lohnungleichheit oder die Benachteiligung der Frau, wenn es um soziale Sicherung und Renten geht. An eine Demonstration zu gehen, ist das eine, sich zu exponieren, sich unbequemen Diskussionen zu stellen und Widerstand zu leisten, etwas anderes.

Popstars und Celebrities äussern sich zu feministischen Themen, die gleichgeschlechtliche Ehe wird auf die politische Agenda gehievt und die Begriffe hinter dem Akronym LGBTQ zu kennen, lässt auf Toleranz und eine moderne Einstellung schliessen. Dass mit zunehmender Präsenz feministischer Anliegen der Feminismus gesellschaftsfähig(er) wird, muss eindeutig als Vorteil anerkannt werden. Für die Insta- und Pop-Generation scheint derweil Feminismus attraktiv zu werden. Zu hoffen bleibt, dass dies nicht nur ein Griff in die Konsumtasche gerade hiper Werte ist, sondern in eine weitergehende Debatte mündet. Feminismus ist nicht bequem. Wenn es um tiefer gehende, strukturelle Fragen von Frauenfeindlichkeit geht, wenn Sexismus, Exklusion und Privilegien analysiert werden müssen, und sich Intersektionalität mit Klassismus und Rassismus zeigt, reichen Parolen nicht mehr. Um Misogynie zu analysieren reicht ein Wohlfühlfeminismus nicht aus. Auch das kann unbequem und uncool sein.

Und trotzdem: Ich freue mich, dass so viele Frauen den Weg auf die Strasse gefunden haben. Und ich wünsche mir, dass diese Frauen, dass wir, auch bereit sind dort weiterzudiskutieren, wo es unbequem und kompliziert wird. Dort, wo die Diskussion um strukturelle Benachteiligung Widerstand auslöst und Konsequenzen haben kann.

In diesem Sinne verneige ich mich vor dem stillen und eindrücklichen Protest der alten Dame im oberen Bild.

Zum Weiterlesen:

Reni Eddo-Lodge: Warum ich nicht länger mit Weissen über Hautfarbe spreche, 2019

Fatima Moumouni: Pop macht Feminismus enfach. Aber Feminsmus ist nicht einfach. Republik, 14.6.2019

60 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page